#90 KI und Wohlstandsbildung

Podcast-Dauer: 42:16

Shownotes:

Der WB-Podcast auf Platz 11 der 50 besten Bildungspodcasts

Der Wohlstandsbildner-Podcast: Platz 11 unter den besten deutschen Bildungspodcasts

Allen, die meinen Podcast hören, will ich zur Begrüßung zwei Dinge zurufen: 1. Danke, dass du dabei bist und dir monatlich Zeit nimmst für etwas Wohlstandsbildung. Damit verleihst du diesem Podcast einen Wert; denn etwas, was keinen interessiert, ist wertlos. Womit wir bei 2. wären: Mit deiner Aufmerksamkeit hast du zusammen mit allen anderen Hörern dafür gesorgt, dass der Wohlstandsbildner-Podcast in einem Ranking auftaucht – einem Ranking, auf das mich mein findiger Wohlstandsbildner-Mitarbeiter Björn Jakoby hingewiesen hat:

Und zwar wurden aus Tausenden von deutschsprachigen Podcasts die 50 besten Bildungs-Podcasts gewählt, sortiert nach den Kriterien Traffic, Social Media Followern und Aktualität. Den Link zu den „education podcasts in german“ habe ich in die Shownotes gestellt. Und auf welchem Platz nun landet dieser Podcast hier unter den 50 besten Bildungspodcasts? Auf Platz 11!

Das hat mich so überrascht wie gefreut. Denn dieses Ranking hat nichts mit Marketing zu tun, wie ich es im letzten Podcast porträtiert habe. Ich habe gar nicht gewusst, dass es diese Bestenliste überhaupt gibt und hätte sie ohne Björns Hilfe nicht entdeckt. Selbst Björn hat nicht danach gesucht, denn eigentlich hat er nur per Suchmaschine eine schlanken Podcast-Player für seinen Browser finden wollen, der die Wohlstandsbildner-Folgen im Programm hat.

Der Viagra-Effekt: Wenn du etwas Tolles findest, wonach du nicht gesucht hast

Und schon haben wir das, was ich den Viagra-Effekt nenne, der immer wieder unerwartet für Erheiterung sorgen kann und wie im Fall von Viagra sogar für Milliardengewinne. Schließlich ist bekannt, dass der Viagra-Wirkstoff Sildenafil Bluthochdruck behandeln sollte, bis sich dabei aber Nebenwirkungen eingestellt haben – Nebenwirkungen, die einigen Männern unerwartet ausdauernde Freude bereitet haben dürften. Seitdem nenne ich es Viagra-Effekt, wenn man sich für irgendetwas auf den Weg macht und dabei etwas findet, das man gar nicht gesucht hat, es einen aber ungemein erfreut.

Ich nehme also diesen 11. Platz als kleine Auszeichnung und große Ermunterung, wie sie mir Björn in drei Worten geschrieben hat: „Also, weiter machen!“ Jawoll, Björn, mach ich, bis Ende dieses Jahres gilt es, dann sehen wir weiter. Der Monatsrhythmus auf alle Fälle ist gut verkraftbar für mich, und angesichts der immer längeren Liste an Podcast-Themen, die mir vorgeschlagen werden, darf ich gar nicht vorzeitig ans Aufhören denken. Wir in Schwaben halten da ja noch immer an überkommenen Glaubenssätzen fest wie „Den Kinofilm gugsch du zu Ende, und ischer noch so blöd. Oder: Deine Miete wohnst du gefälligst ab, also kannsch ned in Urlaub gehen. Oder als Zeichen unserer nicht nur ökonomischen, sondern auch ökumenischen Gesinnung: A kadolischs Würschdle kocht au im a evangelischen Döpfle. Und vor allem: Erledige deine To-Do-Liste bis zum letzten Punkt, sonst landest du im schwäbischen Fegefeuer.“

Chatbots und KI: Die nächste Disruption unserer Zeit. Wie Arbeitsplätze in Gefahr geraten und Branchen umdenken müssen

Zu unserem heutigen Hauptthema: Wenn du 10 Dinge oder Menschen aus dem Stehgreif nennen müsstest, die dich entscheidend geprägt und beeinflusst haben: dein Denken und deshalb deine Wahrnehmung und deshalb deine Entscheidungen und deshalb dein ganzes Leben. Welche Dinge oder Menschen wären das?

Die oberste Direktive in Star Trek: Das Thema der Einmischung

Als ich über diese Frage für mich selbst nachgedacht habe, kam mir recht schnell die Fernsehserie Raumschiff Enterprise in den Sinn, auch bekannt als Star Trek. Ich hatte nie Probleme, mich als Trekkie zu outen, auch, wenn das manche bis heute nicht ernstnehmen. Ich kann wiederum nicht verstehen, wie man Raumschiff Enterprise nicht erstnehmen könnte, wenn es doch seit Langem in vielen Philosophie- und Soziologie-Studiengängen Teil des Lehrplans ist.

Es gibt so vieles, was mich an der Serie begeistert und es wäre jetzt echt verführerisch, auf das eine oder andere einzugehen. Allein auf das, was die gesamte Serie durchzieht als übergeordnete Handlungsanweisung für Sternenflottenoffiziere, die sog. Oberste Direktive, – ein Thema, das nie aktueller war als heute: Wann mischen wir uns ein? Wann sollten wir das sein lassen? Wann denken wir, wir wüssten irgendwas besser, sind irgendwie weiterentwickelt, um daraus abzuleiten, anderen unseren Willen und unsere Technologie aufzuzwingen? Ja, wir haben ein bestimmtes Weltbild, in dem z. B. Menschenrechte und Umweltschutz eine Rolle spielen. Von dem sind wir schwer überzeugt. Sind wir aber deswegen berechtigt, uns in andere Kulturen einzumischen, die ein anderes Weltbild haben? Wie gehen wir als Zeuge von Gewalt um, die anderen angetan wird, wenn etwa ein Land in ein anderes einmarschiert? Mischen wir uns dann ein oder nicht?

Ziemlich aktuell also, diese Enterprise-Direktive mit der Einmischung, nicht wahr? Sich mit ihr zu beschäftigen lehrt differenziertes Denken und die Erkenntnis, dass jeder Gedanke und jedes Tun und auch jedes Nichtstun genauso richtig wie falsch sein können. Es lehrt, dass es eine Form der Einbildung gibt, die schon viele Welten zerstört hat; es ist eine Einbildung in drei Worten, die da lautet: „Ich habe Recht.“

Genau die Star Trek-Folgen sind die raffiniertesten, die den Zuschauer auf diese Ich-habe-Recht-Seite ziehen, auf die Seite der scheinbar Rechtschaffenen, der Guten, der Friedfertigen. Denn wenn jetzt die Guten in all ihren Einmischungen, die es auch für andere gut machen sollen, am Ende vor einem totalen Scherbenhaufen stehen und weit mehr Vernichtung und Grausamkeit ausgelöst haben, wie wenn sie sich nicht eingemischt hätten – diese Folgen haben mein Weltbild erschüttert und erweitert; sie packten mich an der eigenen Identität und stellten vieles infrage, was für mich bis dahin doch so eindeutig und klar gewesen ist. Und das alles schafft die Serie, ohne zu belehren. Ohne Lösungen anzubieten. Sie beschreibt nur Szenarien. Sie spielt Paralleluniversen durch. Und das macht sie eben brillant.

KI – Segen oder Monster? Wie Chatbots unsere Gesellschaft umkrempeln werden

Ein Kapitel im großen Buch dieser visionären Serie will ich hier aber doch aufschlagen, weil das in seinem weiteren Verlauf auch mit finanzieller Bildung zu tun hat. Denn wir alle miteinander sind Zeitzeugen, wie sich dieses Kapitel gerade in diesen Monaten vor unseren Augen materialisiert. Und dieser Vorgang darf sich tatsächlich Zeitenwende nennen im Gegensatz zu dem, was Spindoktors roboterartig sprechenden Politikern in den Mund legen.

Oder nennen wir die Zeitenwende ebenso passend Disruption, Umsturz, Aufruhr, Revolution; der Wissenschaftler Christian Bauckhage sagt zu der Zeitenwende, die ich hier meine, dass die Entwicklung der kommenden fünf Jahre – Zitat – „alles in den Schatten stellt, was wir vorhergesehen haben, und zwar in der Geschichte der Menschheit.“
Seltsam nur, dass nur ein kleiner Teil dieser Menschheit die Tragweite des Geschehens zu ermessen scheint. Doch ich denke, es dauert nicht mehr lange, vielleicht 1-2 Jahre, und keiner wird mehr ignorieren können, dass die Menschheit nicht nur ein nettes Spielzeug erschaffen hat, sondern womöglich ein Monster.

Dieses Monster einzufangen, damit sind jetzt schon ganze Staaten beschäftigt. Sie werden aber nicht erfolgreich sein. Das wurde im Raumschiff Enterprise oft genug dargestellt. Worum geht es also? Tauchen wir dazu doch kurz ein in die Enterprise-Saga, die vor 30 Jahren so vieles beschrieben hat von dem, was im Moment passiert und was noch alles passieren kann.

Die Vielfalt des Star Trek-Universums wurde in ganz verschiedenen Rahmenhandlungen dargestellt. Eine davon ist die vielleicht bekannteste, und das sind die Staffeln von „Raumschiff Enterprise – The Next Generation“ – ihr wisst schon, mit dem großen Shakespeare-Schauspieler Patrick Stewart als Captain Jean-Luc Picard in der Hauptrolle. Der Charakter von diesem Picard wurde und wird bis heute von aller Welt verehrt. Aber die Figur des Captains war nicht die beliebteste. Welche war das? Das war die des Schauspielers Brent Spiner. Der spielte Data, einen Androiden.

Data ist eigentlich nichts weiter als ein Computer, der aber aussieht, spricht und handelt wie ein Mensch. Dieser Computer auf zwei Beinen verarbeitet dabei Daten nicht nur in Lichtgeschwindigkeit, sondern kreiert auch welche, nämlich als Maler, Musiker, Vater oder Forscher. Data ist in den 178 Episoden von The Next Generation das, was Jahrzehnte später bei uns allerorten als KI, als Künstliche Intelligenz bekannt werden sollte, nur eingepackt in einen kybernetischen Organismus.

Was hat das Ganze jetzt mit uns und mit heute zu tun?

Ganz einfach: Wir sind in Kinderschuhen steckend gerade dabei, uns unseren Data zu erschaffen, wenngleich noch ohne physischen Körper, und zwar mit der Verwendung von Künstlicher Intelligenz in Form von Chatbots. Gene Roddenberry, der Schöpfer der Enterprise-Serie, hatte natürlich auch schon so etwas vorausgesehen, denn die Enterprise hatte ihren Schiffscomputer, mit dem man sich unterhalten konnte und der einem alles Wissen ausspuckte, das sich im Universum angehäuft hat. Unser vergleichsweise primitiver Schiffscomputer heißt heute ChatGPT.

Diese Idee einer kommunikativen künstlichen Intelligenz katapultiert sich mit ChatGPT und seinen Folgeversionen gerade in unser Leben. Dabei gibt es ja Chatbots schon länger in so verschiedenen Bereichen wie im Kundenservice, Verkehrssektor, Verkauf, in der Fertigungsindustrie, in der Unterstützung bei jeglicher Entscheidungsfindung, beim Prüfen von Verträgen, beim Bewerten juristischer Tatbestände und so viel mehr. Aber erst jetzt wird KI greifbar als Instrument für alle auf diesem Planeten, die einen Internetanschluss haben.

Als ich vor 3 oder 4 Jahren in einem Podcast prognostiziert habe, dass KI unsere Arbeitswelt umstürzen wird, habe ich nur das gesagt, woran Wissenschaftler schon lange gearbeitet und wovor sie auch gewarnt haben. Ich glaube, noch immer ahnen die wenigsten, wie sehr ihr Arbeitsplatz genau in diesem Augenblick gefährdet ist, weil er bald von Chatbots übernommen werden kann. Es ist dabei gar nicht die Frage, ob ein Chatbot das schon kann, denn Yes, he can. Es ist nur die Frage, wann wir Menschen uns dazu entscheiden ihn entsprechend einzusetzen. Bis dahin haben alle, die von ChatGPT vielleicht nur mal gehört haben, noch Zeit und dürfen weiterwerkeln, bis es sich ausgewerkelt hat.

Wie viel Zeit bleibt noch? Na ja, in Deutschland mit seiner Beamtenmentalität und haarsträubender Dysfunktionalität infolge mangelnder Digitalisierung, in diesem Land wird das noch dauern. Die meisten Beamtenjobs könnten heute schon ersetzt werden, wenn man deren Aufgaben einem Chatbot übergeben würde; das betrifft vor allem die Jobs, die keinen Umgang mit Menschen benötigen, wie z. B. der Großteil aller Aufgaben in Finanzämtern. Und ein Chatbot würde es besser machen, nicht nur viel schneller, sondern auch besser, anwenderfreundlicher und sogar witziger. Das wird natürlich verneint von Politiker- und Beamtenseite aus, denn die wollen sich schließlich nicht selbst abschaffen – auch, wenn es der gesamten Gesellschaft dann besser ginge. Die Bemühung um Verkleinerung des Deutschen Bundestags sei hier ein mahnendes Beispiel.

Ein Wohlstandsbildner im Rathaus: Das Drama, das mit Chatbots kein Drama wäre

Erst vor wenigen Tagen habe ich mir so inniglich Chatbots gewünscht anstatt Menschen in diesen staubig-muffigen Ämtern, die wir mitunter alle besuchen müssen. Und das ging so:
Ich musste eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung besorgen, um sie einem besonders kritteligen Emittenten vorzulegen. So eine Bescheinigung ist ein Papier mit eigentlich nur einer Zeile, die aussagt, dass ich meine Steuern pünktlich zahle.

Natürlich kann ich dieses lächerliche Stück Papier nicht übers Internet bestellen – wir sind schließlich in Deutschland. Ich kann auch nicht aufs Bürgeramt, damit die es für mich bestellen. Videokonferenz ist auch ausgeschlossen; ein Bankkonto kann ich damit in 5 min eröffnen, aber eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, nein, das ist eine ganze andere Liga, da muss ich schon körperlich vorstellig werden zu bestimmten Öffnungszeiten und eines von zwei Büros ansteuern mit je einem Menschen darin, der dafür zuständig ist.

Natürlich war keiner der beiden erstmal da. Die müssen ja auch mal aufs Klo, ein Schwätzchen halten oder einer gewichtigen Konferenz beiwohnen. Also warte ich 15 min. Eigentlich sinnlose 15 min, weil Beamte nicht an ihrem Platz sitzen, aber ich hab halt Englischvokabeln gelernt. Dann kommt einer. Der prüft mein Ausweis und sagt, ich solle in zwei Stunden wiederkommen, dann wäre das Papier fertig. Aha. Ich stehe da, will mit meinem Unternehmen weiterkommen, will Geld verdienen und Steuern zahlen, und bekomme gesagt, dass der Ausdruck eines Einzeilers zwei Stunden dauert. Was soll ich jetzt machen? Wieder heimfahren, wieder herkommen, wieder Parkplatz suchen, natürlich mit Parkgebühr?

Nun ja, ich habe mir das gesagt, was wir uns alle sagen angesichts deutscher Bürokratie. Ich sagte mir: „Es hilft nix. Damit musst du leben. Kommst halt in zwei Stunden wieder. Du kannst diese Technokratenmentalität jetzt nicht ändern.“ Was man sich halt so einflüstert, um nicht irre zu werden bei Behördengängen in Deutschland. Da entwickelt jeder seine eigene Überlebensstrategie.

Drei Stunden später war ich wieder da. Es war zum Glück Donnerstag, da arbeiten ein paar dieser Rathaus-Figuren sogar von 16 bis 18 Uhr. Ich gehe direkt zu besagtem Büro, wo das Ziel meiner Wünsche ausgedruckt bereit liegt. Oben auf einem Stapel habe ich es gesehen und wollte schon zugreifen. Aber da heißt es erstmal: „Das kostet 10 Euro. Ich drucke Ihnen einen Zettel aus. Mit dem gehen Sie bitte zur Bezahlstelle. Die stempeln ihn ab, dann kommen sie wieder. So einfach geht das.“

Mit diesem „So einfach geht das“ im Kopf gehe ich zwei Stockwerke tiefer zur Bezahlstelle und denke mir dabei „Mädle, du mit deinem „So einfach geht das“. Deine Einfachheit reicht nur bis zur nächsten Brandschutztür. Warum konntet ihr in ganzen zwei Corona-Jahren, in denen ihr absolut nichts zu tun hattet, keine digitale Infrastruktur ohne Zettel installieren?“

Ihr seht, geneigte Podcast-Hörer, ich kann Essenzseminare gehen, in denen man lernt, seine Frequenz in ungeahnte Höhen zu schrauben. Natürlich funktioniert dieses Wissen auch anders herum. Und es gibt Momente, da rammt man eben die eigene Laune mit Lust in den Boden. Denn es kann ab und an so guttun, sich schlecht zu fühlen.

Dann stehe ich in der Bezahlstelle. Da steht eine Dame vor mir mit sehr rundem Gesicht, noch runderem Körper und ich glaube, ihr Geist war auch ziemlich rund. Da war nicht eine Ecke zu erahnen, an der sich sowas wie Interesse, Engagement, Wachheit oder sonstige Zeichen von Leben hätten anheften können.

„Was wollet Se bidde?“ fragt sie mich in einem, in solchen Situationen irgendwie immer etwas dümmlich klingenden Schwäbisch. Beamtenschwäbisch halt. Ich sage, in einem Anflug oppositionellem Aufbegehrens extra in Hochdeutsch – und habe dabei irgendwie an Loriot denken müssen: „Ich möchte das hier bezahlen“, und schiebe ihr den Zettel unter die schusssichere Glasscheibe. Und denke mir dabei, ob ich echt jetzt für so eine Scheibe Gewerbesteuer zahlen musste für Leute mit null Gefährdungsgrad? Überschätzen die ihre Arbeit nicht ein bisschen? Was man eben so denkt in solchen Situationen.

Die Dame rollt ans andere Ende des Zimmers und beginnt an ihrem Computer herumzuwerkeln. Ich schaue ihr aus der Ferne dabei zu und sinniere, was wohl das Gegenteil von „arbeitsscheu“ sein mag. Es ist 7 Minuten vor 6 Uhr. Punkt 6 schließen die Türen, nicht nur zwei Stockwerke höher. Ich werde langsam nervös. Nicht, dass ich noch ein drittes Mal antanzen muss. Verdammt, es geht doch nur um eine Quittung, warum dauert das so lang? Da kommt sie wieder und sagt: „10 Euro, bidde.“

Ich sage: „Bitte mit Karte, mir ist das Bargeld ausgegangen.“
„Karde hammer hier ned. Es geht nur Barzahlung.“
„Ist das ihr Ernst? Das Rathaus einer Stadt mit 48.000 Einwohnern nimmt nur Bargeld, und im Zeitungskiosk kann ich meinen Kaugummi mit Karte bezahlen?“
„Da kann i jetzt au nix macha. Bidde 10 Euro in bar.“
„Die hab ich jetzt aber nicht. Wir haben 4 Minuten vor 6. Gibt es hier einen Geldautomaten?“
„Noi, sowas hamma ned im Haus.“

Ich war plötzlich total erschöpft. Ich bin davongetrottet, hinter mir geht eine Minute vor 6 die Jalousie runter. Jetzt fällt mir das Gegenteil von „arbeitsscheu“ ein: beflissen, betriebsam, emsig, z. B., wenn es darum geht, Feierabend zu machen.

Bleibt die Frage: Das, was sich da im Rathaus abspielte – könnte das ein Chatbot wie ChatGPT erledigen? Ja, natürlich könnte er das. Von der ersten bis zur letzten Aktion. Das noch verknüpft mit Blockchaintechnologie, dann liefe alles in jeder Hinsicht sicherer und zuverlässiger, als es je ein Mensch bewerkstelligen könnte.

Kann Künstliche Intelligent auch die Wohlstandsbildner überflüssig machen?

Wechseln wir an dieser Stelle die Branche, denn ich will die Frage stellen: Ist mein Job als Wohlstandsbildner vielleicht auch gefährdet? Wäre ein Chatbot in der Lage, ein komplettes Finanzseminar auf die Beine zu stellen? Könnte er Leute in Sachen Vermögensaufbau beraten? Wüsste er, in was man rentabel, plausibel und sinnstiftend investieren könnte?

In der Tat gibt es bereits Chatbots, die in der Lage sind, einfache Finanztipps zu geben. Sie können beispielsweise Empfehlungen zu Versicherungen abgeben oder die groben Risiken eines Finanzprodukts aufzeigen. Allerdings stoßen Chatbots schnell an ihre Grenzen. Denn KI-Systeme können nun mal nur auf das zurückgreifen, was in der digitalen Welt erreichbar ist, was also jemals von Menschen- oder Maschinenhand geschrieben und programmiert wurde. Wertschöpfung hingegen findet in der realen Welt statt. Und dort geht es mitunter in einer Weise zu, die eine KI vielleicht nachahmen kann, aber nie verstehen wird: nämlich unlogisch. Intuitiv. Spontan. Flexibel. Experimentell. Sprunghaft. Eben menschlich. Und aus diesen unerklärlichen Faktoren menschlicher Entscheidungsfindung sind oft die innovativsten Wertschöpfungen entstanden.

Chatbots und KI dagegen basieren nur auf Daten und Algorithmen. Sie können bestimmte Muster und Trends in den Daten erkennen und auf dieser Grundlage Vorhersagen treffen. Damit können sie vielleicht kreativ erscheinen, so, wie es auch für uns kreativ ist, wenn wir Vorhandenes neu kombinieren, woraus etwas entsteht, was es vorher noch nicht gab. Wirklich „neu“ ist aber die Neuanordnung von Vorhandenem aber nicht, wenn „neu“ etwas ist, das erfunden werden musste wie das Rad, die Glühlampe, das Telefon oder ein Bild aus der blauen Schaffensphase von Picasso.

In Sachen Vermögensaufbau ist das ähnlich. Nehmen wir als Beispiel einmal wieder die Börse. Seit Corona und praktischen Apps finden nun 1,3 Millionen der unter 30-Jährigen pro Jahr den Weg an die Börse, wie der Spiegel berichtete. Fragt man übrigens diese Leute, warum sie das tun, kommt meistens die Antwort: „Es gibt ja nicht viel anderes, was man mit dem Geld machen kann.“ Deshalb gibt es Millionen Heringe, wie ich sie gleich noch erwähnen werde. Und deshalb gibt es auch immer am ersten Samstag eines Monats den Wohlstandsbildner-Podcast.

Wenn Vermögensaufbau schöpferisch ist – was ist dann die Börse?

Zurück zum Thema: Glaubt nun, liebe Podcast-Hörer, einer von euch, dass irgendetwas an der Börse schöpferisch und neu ist? Das Herumgeschiebe von Aktien? Die Analyse von Trends, die Spekulation auf die meistens vorhersehbare Reaktion der Masse? Das alles mag neu erscheinen, ist aber letztlich nur eine Neuanordnung von Daten. Dass hier KI irgendwann einmal erfolgreich sein wird, wie es sich heute schon viele wünschen mit ihren Robo-Advisors, das kann ich mir gut vorstellen. Und wenn es soweit ist, kommt der Moment, der allen die Augen öffnet: dass das ganze Börsenspiel ein Marktplatz war, auf dem nur altes Zeug immer neue Besitzer gefunden hat; der mit wahrer Wertschöpfung aber gar nichts zu tun hatte, um nur einmal zwei Gründe zu nennen:

  1. Börse heißt: Du kannst nur gewinnen, was ein anderer verloren hat. Wertschöpfung aber heißt: Alle gewinnen, die dabei mitgewirkt haben, dass neue Produkte und Lösungen erschaffen wurden, die für andere interessant sind.
  2. Alle Arten von KI finden die zwar riesige, aber doch immer gleiche Menge von Daten vor, die sie analysieren können. Irgendwann sind alle KIs gleich „intelligent“ – intelligent in Anführungszeichen natürlich. Dann haben wir die Situation wie von zwei gleich starken Schachcomputern, die man gegeneinander spielen lässt: Es wird keiner mehr verlieren, aber auch keiner gewinnen. Es gibt nur noch Remis-Partien, Unentschieden. Und damit wird es an der Börse nur noch Verlierer geben, denn niemand baut Vermögen auf.

Wer die weltweiten Börsen wie ich betrachtet als riesiges Fischbecken mit Millionen Heringen, nämlich den ahnungslosen Kleinanlegern, hunderttausenden Piranhas, zehntausenden Haien, hunderten Orcas und ca. 40 Walfischen, wo es am Ende nur ums Überleben, Fressen und Gefressenwerden geht – wer die Börse so sieht, der mag vielleicht mit einer gewissen Summe mitspielen, weil ihm das Spielen um des Spielens Willen Spaß macht. Aber strategisch Vermögen aufbauen kann er nur da, wo etwas entsteht, was möglichst viele andere haben wollen. Dazu passt wunderbar der erste Satz in Wikipedia zum Stichwort „Kreativität“:

Kreativität ist die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu oder originell und dabei nützlich oder brauchbar ist.

Das Kriterium „Kreativität“ in Wertschöpfungsketten von Wohlstandsbildnern

Schauen wir uns das an bei den Wertschöpfungsketten, die einen Wohlstandsbildner interessieren:
Ist das, was wir da an Wert erschaffen, nützlich und brauchbar? Ja, hochgradig sogar, das ist der Kern vom Kern der gesamten Strategie. Je mehr Menschen das nützen und brauchen, was wir herstellen, desto größer die Plausibilität und Rentabilität des Investments! Wer meine Podcasts hier verfolgt, für den ist diese Aussage schon ein Mantra – was sie aber hoffentlich nicht als langweilig abstempelt, sondern auszeichnet als das, was diese Aussage ist: existenziell und wertvoll genug, um viele hunderte Male wiederholt zu werden. Mögen sich an dieser Stelle doch all die Börsenteilnehmer fragen, wie sehr das, in das sie da investieren und wie sie es herumschieben, nützlich und brauchbar ist.

Bei den großen Themen unserer Gesellschaft Infrastruktur, gewerbliche Immobilien mit hohem Entwicklungspotential und Agrikultur, da stellt sich diese Frage nach der Brauchbarkeit nicht. All das wird so sehr gebraucht, dass es unverzichtbar ist.

Ist das, was wir dabei erschaffen, neu? Kommt darauf an, wie wir das nennen. Jede Erdbeere, die wir ernten, jede Wasserflasche, die wir abfüllen, jedes Konferenzzentrum, das wir mithelfen zu bauen, das ist alles neu, obwohl es schon vorher tausende- bis millionenmal in ähnlicher Form hergestellt wurde. Der Wert einer Sache bemisst sich hier eben nicht daran, dass diese Sache so noch nie vorher existiert hat. Das wäre Venture Capital und endet oft genug im Totalverlust. Nein, der Wert bemisst sich daran, dass wir diese Dinge immer auf Neue benötigen und mit immer mehr Menschen auf der Erde auch in größerer Zahl benötigen werden.

Und da sind wir beim Stichwort „originell“: Zum größten Teil ist das, was wir herstellen, nicht originell. Das kann man von einer Tomate nun wirklich nicht behaupten. Aber es gibt zwei Perspektiven, die einzunehmen das, was wir tun, schon originell aussehen lassen:

  1. Was wir an Infrastruktur und Entwicklungsimmobilien schon mitfinanziert haben, das darf originell genannt werden. Im Finanzseminar etwa zeige ich mitten in einer asiatischen Großstadt ein heruntergekommenes Haus, in dem niemand etwas Wertvolles gesehen hat. Bis einer kam und dieses Haus verwandelt hat in ein modernes, ästhetisch ansprechendes kleines Bürogebäude. Die Idee und die Durchführung ist sicher nicht neu, aber originell, denn Jahrzehnte vorher kam schließlich niemand auf diese Idee, die sich dann auch hochrentabel gerechnet hat für alle Investoren.Oder ein in die Jahre gekommenes Industriegelände in Amerika nahe der Küste mit ein paar Fabrikruinen drauf. Bis einer kommt und den Bedarf an Lagerraum erkennt, wenn nun mal all die Küstenbewohner keinen Keller unter ihr Haus bauen können. Wo aber soll der Amerikaner seine Surfbretter, alten Sofas, Reisekoffer, Waffen und sonstigen Krempel aufbewahren, wenn es knapp wird im Flachdachbungalow? Er mietet sich einen abschließbaren, 24h überwachten Raum so groß wie eine Garage und findet dort noch ein Cafe, Fitnessstudio und kleinen Supermarkt vor, wo er all den anderen begegnet, die sowas brauchen, um bei einem guten Kaffee einen Schwatz zu halten.
    Ist das originell? Das Ergebnis an sich ist es nicht, aber der Weg ist es vom ölverdreckten Industrieplatz hin zum schmucken Storage, in den pro Tag mehrere 1000 Menschen strömen.Oder als drittes Beispiel ein Gewächshaus: Daran ist auf den ersten Blick gar nichts originell. Das gilt aber nur für die, die Tomaten auf den Augen haben. Wer sich mit Gewächshäusern beschäftigt und mit der Infrastruktur drumherum, um diese Gewächshäuser zur Quelle von hunderttausenden Tonnen Obst und Gemüse zu machen, der wird sehen: Es gibt unzählige originelle Ideen, wie sogar etwas topmodern Ausgereiftes noch günstiger, schneller, schöner und profitabler gemacht werden kann – und wenn es nur eine weltweit neue Zusammensetzung der Erde ist, in der die Pflanzen wachsen. Oder du auf die Idee kommst, zu viel Wärme nicht im gesamten Gewächshaus zu bekämpfen, was sehr teuer ist, sondern nur an den Wurzeln der Pflanzen, indem man sie mit kühlem Wasser umfließt. Nur eine kleine Komponente anders gemacht, und schon hast du 10% zusätzlichen Ertrag und du hast Besucher aus dem gesamten Ausland, die unserem Agroingenieur an den Lippen hängen, um zu erfahren, wie er denn auf diese originelle Idee kam.
  2. Und genau dieser Weg, diese Art Projektentwicklung ist der zweite Faktor, der unser Tun originell macht: Es ist nicht immer das Ergebnis, das fasziniert. Faszinierend ist der Weg, der zum Ergebnis führt! Wer wie wann mit welchem Geld wo zusammenkommt, um welche Lösung für ein Problem oder für eine Nachfrage zu finden, das ist jedes Mal einzigartig und macht das Investorenleben oft nicht nur einzigartig lukrativ, sondern auch einzigartig spannend.

Das Thema Künstliche Intelligenz wird aufgeklärte Menschen ab sofort ständig beschäftigen, daher wollte ich hier nur mal einen bescheidenen Anfang machen, KI auch im Zusammenhang mit der Wohlstandsbildnerei zu erwähnen.

Die Entwicklung von Chatbots und KI generell ist eine der größten Disruptionen unserer Zeit, die die jetzt lebenden Generationen je miterleben dürften. Viele Branchen müssen umdenken und neue Geschäftsmodelle entwickeln, sonst gehen sie im Wettbewerb unter. Auf der anderen Seite sind Chatbots und KI keine Allzweckwaffe. Sie haben ihre Grenzen und können nicht alle Aufgaben übernehmen, die bisher von Menschen erledigt wurden.

Was eine KI nie schaffen wird: Investorennetzwerke aufbauen und pflegen

Eine Aufgabe, die für uns Investoren von entscheidender Bedeutung ist, werden sie etwa niemals übernehmen: Chatbots werden niemals in der Lage sein, Netzwerke aufzubauen und zu pflegen, wie es nur Menschen können. Das klingt banal, dabei liegt in dieser Feststellung ein Kernelement zum Aufbau großer Geldmengen. Folgender Hintergrund dazu:

Die Investments, von denen jeder träumt: Highperformer

Ein Investment, das es in die Liga der sog. Highperformer schafft, gibt es selten. Highperformer sind Vermögensanlagen, die natürlich überragend renditestark sind; aber es kommt noch etwas genauso Wichtiges dazu: Highperformer tragen oft mehr Potential in sich, als sie mit ihrem eigenen Gesellschaftszweck je selbst verwirklichen könnten, was bedeutet: Sie ziehen in ihrem Kielwasser viele neue Vermögensanlagen mit sich. Andres gesagt: Mit der Zeit entwickeln sich Highperformer zu einem regelrechten Gravitationszentrum im Portfolio, um das viele andere Investments wie Planeten kreisen.

Wer sich mit der Biografie von superreichen Menschen unter diesem Gesichtspunkt beschäftigt, wird fündig werden, denn: Die allermeisten großen Reichtümer gründen, wie sich immer erst im Rückblick herausstellt, auf einen solchen Highperformer, aus dem sich heraus alles Weitere entwickelt hat! Einige Investoren aus der Gruppe der Wohlstandsbildner sind schon an einem solchen Highperformer beteiligt, und im Moment spricht vieles dafür, dass da ein zweiter heranwächst. Welche Highperformer das sind, spielt jetzt hier keine Rolle; in späteren Podcasts werde ich gewiss auf sie zu sprechen kommen. Was ich sagen will, ist:

Highperformer-Investments sind nie das Ergebnis einer Wertschöpfungskette, sind nie die Summe von Daten oder die Folge von Ursachen. Sie stehen immer ganz am Anfang einer Entwicklung; sie entstehen wie aus dem Nichts, ergeben sich oft wie zufällig aus einer Verkettung von Umständen, wie sie nie ein Mensch oder eine Maschine erfinden könnte. Corona war in jüngster Zeit so ein Umstand.

Um aber in einer Verkettung von Umständen, oft auch scheinbar unglücklichen Umständen, um dort die Chance zu sehen, um das ganz Neue zu ahnen, dazu braucht es Menschen – und zwar nicht nur einen, sondern viele. Und diese vielen repräsentieren, jeder für sich, auf einmalige Weise Wissen und Erfahrung, Geld, weitere Kontakte, Chancen- und Risikobewusstsein, aber auch Emotionen, Lebenseinstellungen und spirituellen Hintergrund. Und diese Gemengenlage unfassbar komplexer und intuitiver Verbindungen bringt irgendwann einen Impuls hervor in Form einer Idee. Diese Idee führt zu weiteren Ideen, über die sich mehrere Köpfe unterhalten, was wiederum neue Ideen an Land zieht, und am Ende eines kreativ-chaotischen Prozesses bringt es einer der Köpfe auf den Punkt und sagt:

„Leute, es ist verrückt, aber es ist interessant: Lasst es uns ausprobieren, und am Ende wird sich zeigen, ob wir etwas von Wert schaffen konnten.“

So oder ganz anders, aber immer unwägbar und mit einer gehörigen Portion Irrationalität versehen, entstehen Highperformer, die schon ganze Dynastien begründet haben. Chatbots haben keinen Zugang dazu. Sie sehen nichts Neues, sondern können nur Wahrscheinlichkeiten auf Grundlage vorhandener Daten aufstellen. Sie netzwerken nicht, denn sie sind das Netzwerk, und es gibt nichts außerhalb von diesem Netzwerk, das für neue Gedankenblitze sorgen könnte.

Ein menschliches Netzwerk aber ist immer mehr als die Summe seiner Menschen und Daten. Es sind diese Geistesblitze, die aus einer aufgeladenen Atmosphäre herausschießen, wenn die Zeit reif dafür ist.
Daher ist mir nicht bange, dass mein Job als Wohlstandsbildner gefährdet sein könnte in nächster Zeit. Um Geistesblitze aufzufangen und darin etwas Wertvolles zu sehen, dafür braucht es Menschen, die miteinander reden, die Geld zusammenlegen und sich dann auf eine Abenteuerreise begeben.

Künstliche Intelligenz wird uns noch oft überraschen und uns in vielem überholen. Wir werden ihr aber immer voraus sein, wenn es darum geht, mit der Weisheit des Bauchgefühls und der Begeisterungsfähigkeit des Herzens Dinge zu wagen, die ein Chatbot als unmöglich berechnen würde.

Die 1-Mann-Wertschöpfungskette: Eine Investorengeschichte in Schwaben

Zum Abschluss noch eine Geschichte von der Art, wie wir sie alle lieben, nämlich eine Erfolgsgeschichte. Und weil in dieser Geschichte etwas wirklich Bemerkenswertes passiert ist, wurde sie auch durch alle Medien gereicht, sogar bis rüber nach Amerika. Nun will ich gleichfalls dem Helden in dieser Geschichte gratulieren aus Sicht eines Investors, denn für mich ist diese Geschichte in erster Linie eine Investorengeschichte.

Und die findet satt in Ostelsheim, ein 2.500 Seelen-Dorf 25 km Luftlinie westlich von Stuttgart und einen Steinwurf entfernt von einer meiner liebsten Wanderstrecken im Landkreis Calw. Calw kennt jeder, wenn er schon mal was von Hermann Hesse gehört hat, denn der ist dort geboren.

Das beschauliche und tatsächlich sehr schön gelegene Ostelsheim hat vor Kurzem einen 29-Jährigen zum Bürgermeister gewählt. Sein Alter kann dabei nicht das Aufsehenerregende sein, denn Deutschland hat schon viel jüngere Bürgermeister gesehen, 2020 einen 19-Jährigen Jurastudenten in Bayern oder 2021 einen 25-Jährigen in Niedersachsen. Nein, das Besondere an diesem Mann ist – Achtung: den Medien zufolge seine Herkunft, weil er 2015 nach einer wochenlangen Reise aus Syrien zu uns kam. Der erste Flüchtling, der es bis zum Bürgermeister geschafft hat – das wird in den ersten drei Sätzen in allen diesen Reportagen betont.

Ich gestehe – das hat mich schon nach kurzer Zeit echt genervt. Warum wird der junge, smarte Mann auf seine Herkunft regelrecht reduziert, noch bevor sich irgendein Reporter bemüht, seinen Namen richtig auszusprechen? Gäbe es diese Schlagzeilen auch, wenn er ein Pole, Norweger oder Amerikaner wäre? Es kommt, ob wir wollen oder nicht, eben gleich diese hochpolitisierte Migrationsdebatte mit ins Spiel. Und das hat Ryyan mit Doppel-Ypsilon, wie er mit Vornamen heißt, auch selbst genervt, womit der Spiegel sein Interview gleich mit der Überschrift versehen hat „Ich hasse das Wort Integration“.

Ich erwähne übrigens nur den Vornamen Ryyan, weil sein Nachname von all den Reportern auf zig verschiedene Weisen ausgesprochen wird, also mutmaßlich falsch. Meine Recherche in einigen YouTube-Videos, um vom zukünftigen Bürgermeister persönlich zu hören, wie er seinen Nachnamen ausspricht, brachte keinen Erfolg. Ryyan aber darf als sicher gelten, also belasse ich es dabei – nicht aus Kumpanei, sondern Respekt. Vielleicht treffe ich ihn mal bei meiner nächsten Wanderung, dann frage ich ihn nach seinem Nachnamen; denn Namen sind nicht Schall und Rauch, sondern wichtig. Sie sind Bestandteil unserer Identität und Persönlichkeit, und sich zu bemühen, einen Namen richtig auszusprechen, ist der erste Beweis, dass einem der andere wichtig ist. Ich vermute, vielen Reportern war aber nur die Story wichtig.

Zurück zu Ryyan und dem erfrischend offen geführten Interview mit dem Spiegel. Denn dem erklärt er, warum er – Zitat: „keinen Bock mehr hat, diesen Begriff (Integration) zu hören“. Und das begründet er so:

„Letztlich ist das ein Deal. Wer herkommt, geht den Deal ein, lernt die Sprache, gliedert sich ein und tut alles dafür, ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu sein. Wenn das gegeben ist, muss die aufnehmende Seite aber auch bereit sein zu helfen. So ist das bei mir gelaufen, ich habe mich angestrengt, aber es gab auch Leute, die mich gern unterstützt haben.“

Und genau in diesen Worten ist schon herauszuhören, worum es Ryyan eigentlich ging: um einen Deal, einen Handel, in der Hoffnung, dass alle Seiten gewinnen. Es ging um Wertschöpfung, von der alle profitieren sollten. Ryyan hat das getan, was für jeden jungen Menschen normal sein sollte: Er wurde zum Investor, indem er in die wichtigste Wertschöpfungskette seines Lebens überhaupt investiert hat, nämlich in sich selbst.

Für diese Investition hat er aber kein Geld in die Hand genommen, sondern: Er hat seine ganze geistige und körperliche Kraft investiert. Work for Equity, so heißt es, wenn Lebenszeit anstatt Geld für Beteiligungen bezahlt werden, und der Mensch Ryyan hat Zeit, Mühe und Intelligenz investiert, um gewissermaßen Anteile zu bekommen an der Wertschöpfungskette namens Ryyan. Er hat in sagenhaft kurzer Zeit Deutsch gelernt, das er jetzt fast akzentfrei und grammatikalisch besser spricht als viele Deutsche. Und er hat sich als Verwaltungsfachangestellter wohl so gut in seine Aufgaben reingehängt und Dinge vorangebracht, dass sich das über seine Verwaltung hinaus herumgesprochen hat.

Für mich ist das alles pure Investorengesinnung und Wohlstandsbildung. Es ist eine klassische, aber nicht weniger bewundernswerte Investorengeschichte: Da hat jemand viel gearbeitet und wahrscheinlich keine Gelegenheit ausgelassen, um Mehrwert zu erzeugen für so viele Beteiligte wie möglich. Und deshalb war dieser Ryyan acht Jahre nach seiner Ankunft hier auch kein riskantes Startup-Unternehmen mehr, sondern eine im Markt eingeführte Wertschöpfungskette, die bewiesen hat, dass sie Erträge bringt.

Und jetzt haben viele ihre Wahlstimme in diese Wertschöpfungskette investiert, weil sie sich eine Rendite erhoffen, etwa in Form einer besseren Infrastruktur für ihr Dorf oder einer guten Kinder- und Seniorenbetreuung. Das sind die Themen, die sich Ryyan nach eigener Aussage auf die Fahne geschrieben hat, und dafür hat er die absolute Mehrheit bei der Bürgermeisterwahl bekommen.

Natürlich kann ich verstehen, dass so etwas fasziniert, diese „Vom Flüchtling zum Bürgermeister“-Geschichte als quasi kleine, schwäbisch-politische Variante der „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Karriere. Aber das wird dem Mann nicht gerecht, der in einer topp gebildeten und politikinteressierten Familie aufgewachsen ist.

Er wollte einfach das tun, was den meisten Menschen die meiste Freude bringt: Er wollte seine Potentiale verwirklichen. Er wollte persönlich wachsen, etwas bewirken, Dinge erschaffen. Syrien war offensichtlich nicht das geeignete Umfeld dafür. So ein kluger, engagierter Kopf, der würde sich überall entfalten, wenn die Umstände es zuließen; aber klar freut es mich, dass er das nun bei uns im Schwäbischen tut. Und das nicht wegen, sondern trotz der derzeitigen Politik, die ja vieles dafür tut, dass die klügsten Köpfe das Weite suchen und abwandern.

Für Ryyan gilt das, was der ehemalige französische Außenminister Robert Schuman – Schuman ohne H und mit einem N geschrieben – was der in ein treffliches Zitat packte: „Europäer wird man nicht durch Geburt, sondern durch Bildung.“ Das trifft ohne Zweifel auf Ryyan zu.

Und zum abschließenden Gruß an euch, liebe Podcastlauschenden, kann ich es mir unmöglich verkneifen, dieses Zitat für unsere Sache hier abzuleiten:

„Ein guter Investor wird man nicht durch Geburt, sondern durch Wohlstandsbildung.“

Euer Andreas

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